Menschen mit Behinderung sollen gar nicht erst geboren werden?
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Reiner Henrich
Menschen mit Behinderung sollen gar nicht erst geboren werden?
Am 27. August 2024 sorgte ein Editorial von Dr. med. Klaus Heckemann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen, für Aufsehen und Empörung. In den KVS Mitteilungen äußerte er die Befürchtung, dass Fortschritte in der genetischen Diagnostik eine finanzielle Überlastung der Krankenkassen durch humangenetische Untersuchungen bei erblichen Erkrankungen verursachen könnten. Heckemanns Lösung: Mutationsanalysen im Erbgut von Frauen mit Kinderwunsch, um das Risiko „schwerstkranker Kinder“ zu minimieren.
Heckemann argumentierte, dass die Geburt erkrankter Kinder hohe gesellschaftliche Kosten verursache und die Lebensqualität der Eltern eingeschränkt würde. Seine Äußerungen ließen die Frage aufkommen, ob er, in einer für die Gesellschaft gefährlichen Art und Weise, zwischen „wertem und unwertem Leben“ unterscheide. Diese Rhetorik weckt unweigerlich Erinnerungen an nationalsozialistisches Gedankengut, als Menschen mit Behinderungen systematisch als „lebensunwert“ betrachtet und Opfer furchtbarer Verbrechen wurden.
Reaktion: Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats e.V., kritisierte Heckemann scharf. Sie verglich seine Aussagen mit der menschenverachtenden Ideologie des Dritten Reichs, die ebenfalls versuchte, das Leben von Menschen mit Behinderung zu delegitimieren. Vogler betonte, dass jeder Mensch, unabhängig von Behinderung oder Krankheit, ein Recht auf ein glückliches, erfülltes und selbstbestimmtes Leben habe.
Vogler verwies außerdem darauf, dass die Gesundheitsversorgung in Deutschland auf den Grundprinzipien von Gleichheit, Inklusion und Teilhabe basiert. Aussagen wie die von Heckemann würden diese Grundwerte untergraben und könnten langfristig das Vertrauen in das Gesundheitssystem erschüttern. Besonders in einer Zeit, in der ethische Werte in der medizinischen und pflegerischen Versorgung hochgehalten werden, sollten solche Ansichten vehement abgelehnt werden.
Tipp: Die Frage der Finanzierung des Gesundheitssystems ist komplex und bedarf nachhaltiger Lösungen, die auf demografischen und systemischen Herausforderungen basieren. Ein Fokus auf die Vermeidung der Geburt von Menschen mit Behinderungen ist jedoch keine Antwort auf diese Probleme.
Der Deutsche Pflegerat e.V. machte deutlich, dass er und seine Verbände strikt gegen solche Ansichten Stellung beziehen werden. Die Pflege müsse respektvoll und ohne Diskriminierung in Bezug auf Alter, Geschlecht, Behinderung oder andere Merkmale erfolgen. Jede Form von Ausgrenzung oder Diskriminierung sei inakzeptabel.
Insgesamt zeigt diese Debatte, wie tiefgreifend ethische Fragen die moderne Medizin und Pflege durchdringen. Die Aussagen von Heckemann werfen ernste Fragen über den Umgang mit Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft auf und fordern eine klare Positionierung gegen jedwede Ideologie, die das Leben eines Menschen aufgrund seiner gesundheitlichen Verfassung infrage stellt.