„Warum ruft ihr uns wegen so Kleinigkeiten“ Notfallmanagement in stationären Langzeitpflegeeinrichtungen

Rettungsdienstmitarbeiter im Rückenansicht in einem Krankenwagen, der die Herausforderungen und Missverständnisse im Notfallmanagement zwischen Pflegeeinrichtungen und Rettungsdiensten darstellt.

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„Warum ruft ihr uns wegen so Kleinigkeiten?“

Notfallmanagement in stationären Langzeitpflegeeinrichtungen

Notfallsituationen in stationären Langzeitpflegeeinrichtungen sind unvermeidlich und gehören zum Pflegealltag. Sie stellen die Pflegenden jedoch oft vor besondere Herausforderungen, die durch die begrenzten Ressourcen, die strukturellen Bedingungen sowie den Pflegebedarf der Bewohnerinnen und Bewohner bedingt sind. In ihrer qualitativen Querschnittsstudie haben Schmidt, Haeger, Standtke und Roßbach (2024) das Notfallmanagement in stationären Langzeitpflegeeinrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern untersucht und dabei die Perspektiven der Pflegenden in den Mittelpunkt gestellt.

Forschungsziel und Methodik

Die Studie, die in der Zeitschrift Pflege & Gesellschaft veröffentlicht wurde, beleuchtet das Notfallmanagement aus der Sicht der Pflegekräfte in stationären Einrichtungen. Durch die qualitative Erhebung konnten zentrale Aspekte und Probleme identifiziert werden, die das Notfallmanagement erschweren. Die Forschenden wählten dafür ein Querschnittsdesign und befragten Pflegekräfte unterschiedlicher Einrichtungen, um ein breites Meinungsbild zu erhalten. Im Fokus standen sowohl die Erfahrungen der Pflegenden im Umgang mit Notfällen als auch ihre Einschätzungen zur Zusammenarbeit mit dem Rettungsdienst und weiteren Akteuren im Notfallmanagement.

Ergebnisse der Studie

Ein zentrales Ergebnis der Studie ist die Kritik der Pflegekräfte an der oft unzureichenden Unterstützung durch den Rettungsdienst. Häufig berichten Pflegekräfte von Frustration über die Reaktion der Notfallmediziner, die beim Eintreffen in den Einrichtungen den Eindruck vermittelten, viele Einsätze seien „unnötig“ oder basierten auf Kleinigkeiten. Der Satz „Warum ruft ihr uns wegen so Kleinigkeiten?“ spiegelt die wiederkehrende Erfahrung vieler Pflegekräfte wider, dass ihre Notrufe in den Augen des Rettungsdienstes nicht immer gerechtfertigt erscheinen.

Diese Wahrnehmung führt zu einer Verunsicherung und einem Gefühl des Unverständnisses auf beiden Seiten. Einerseits fühlen sich Pflegekräfte in ihrer professionellen Einschätzung nicht ernst genommen, andererseits stehen Notärzte und Rettungssanitäter, die oftmals mit einer Vielzahl von Einsätzen konfrontiert sind, bei denen akute Lebensgefahr nicht immer gegeben ist. Dieses Spannungsverhältnis trägt dazu bei, dass das Notfallmanagement in der Langzeitpflege als problematisch wahrgenommen wird.

Ferner wurde in der Studie aufgezeigt, dass es den Pflegekräften in vielen Fällen an klaren Handlungsanweisungen für den Umgang mit Notfällen mangelt. Während Notfallpläne und Schulungen zwar vorhanden sind, werden diese oft als unzureichend oder praxisfern empfunden. Zudem erschwert der Personalmangel, der in vielen Langzeitpflegeeinrichtungen herrscht, eine adäquate Reaktion auf Notfälle. Besonders in der Nacht oder an Wochenenden, wenn weniger Personal zur Verfügung steht, wird die Bewältigung von Notfallsituationen als sehr belastend beschrieben.

Ein weiterer Aspekt, der in der Studie thematisiert wurde, ist die Zusammenarbeit mit Angehörigen und Ärzten. Pflegekräfte berichten, dass Angehörige oft falsche Erwartungen an die Notfallversorgung in der Langzeitpflege haben und häufig verlangen, dass ein Notarzt gerufen wird, selbst wenn die Situation aus pflegerischer Sicht nicht akut lebensbedrohlich ist. Dies stellt die Pflegekräfte vor ein Dilemma: Sie möchten einerseits die Angehörigen beruhigen, andererseits die begrenzten Ressourcen im Rettungswesen nicht unnötig beanspruchen.

Herausforderungen im Notfallmanagement

1. Ressourcenknappheit: Die Pflegeeinrichtungen verfügen oft nicht über die nötigen personellen und materiellen Ressourcen, um auf Notfälle umfassend vorbereitet zu sein. Gerade in ländlichen Regionen wie Mecklenburg-Vorpommern kann es zudem zu Verzögerungen in der Ankunft des Rettungsdienstes kommen.

2. Kommunikationsprobleme: Es gibt oft Missverständnisse und Kommunikationsprobleme zwischen den Pflegenden und dem Rettungsdienst. Diese resultieren zum Teil aus unterschiedlichen Wahrnehmungen dessen, was als „Notfall“ gilt.

3. Fehlende Handlungsanweisungen: Die Pflegekräfte bemängeln, dass es an konkreten und praxisnahen Handlungsanweisungen für den Umgang mit Notfällen mangelt. Notfallpläne sind vorhanden, aber nicht immer realistisch umsetzbar.

4. Erwartungen der Angehörigen: Die Erwartungen der Angehörigen an die Notfallversorgung in Pflegeeinrichtungen stehen oft im Konflikt mit den pflegerischen und medizinischen Möglichkeiten. Dies führt zu Spannungen und erhöhtem Druck auf die Pflegekräfte.

Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen

Die Ergebnisse der Studie zeigen klar, dass Verbesserungen im Notfallmanagement in der stationären Langzeitpflege notwendig sind. Die Forscher schlagen mehrere Ansätze vor, um die Situation zu verbessern:

  • Bessere Schulungen und Notfalltrainings: Um Pflegekräfte besser auf Notfälle vorzubereiten, sollten regelmäßige Schulungen und Notfalltrainings durchgeführt werden, die auf die spezifischen Bedürfnisse der Langzeitpflege zugeschnitten sind. Diese Trainings sollten praxisorientiert sein und realistische Szenarien berücksichtigen.
  • Verbesserung der Kommunikation zwischen Pflege und Rettungsdienst: Es ist notwendig, die Kommunikation zwischen Pflegekräften und Rettungsdiensten zu verbessern. Hier könnten verbindliche Kommunikationsstandards und regelmäßige interdisziplinäre Treffen dazu beitragen, Missverständnisse zu vermeiden und das gegenseitige Verständnis zu fördern.
  • Erstellung von klaren Handlungsanweisungen: Pflegeeinrichtungen sollten praxisnahe und umsetzbare Handlungsanweisungen für Notfallsituationen entwickeln. Diese sollten flexibel genug sein, um auf verschiedene Notfallarten reagieren zu können, und klar festlegen, wann der Rettungsdienst einzubeziehen ist.
  • Sensibilisierung der Angehörigen: Angehörige sollten besser über die Möglichkeiten und Grenzen der Notfallversorgung in Pflegeeinrichtungen informiert werden. Dies kann durch Informationsveranstaltungen oder gezielte Gespräche erfolgen.

Die Studie von Schmidt et al. leistet einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über das Notfallmanagement in der Langzeitpflege. Sie zeigt auf, dass es dringend notwendig ist, die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte zu verbessern und eine bessere Zusammenarbeit mit den Rettungsdiensten zu etablieren. Nur durch gemeinsame Anstrengungen können die Herausforderungen im Notfallmanagement langfristig bewältigt und die Qualität der Pflegeversorgung in Notfallsituationen gesichert werden.

Quelle: Schmidt S, Haeger J, Standtke S, Roßbach CN. „Warum ruft ihr uns wegen so Kleinigkeiten?“. Notfallmanagement in stationären Langzeitpflegeeinrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern. Eine qualitative Querschnittsstudie aus der Perspektive von Pflegenden. Pflege & Gesellschaft 2024; 29 (1): 7–20

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