„Wer nur auf kurzfristigen Gewinn zielt, wird sich schwertun.“ – Interview mit der care konkret

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Reiner Henrich
„Gründen heißt nicht nur starten, sondern durchhalten“
Dieser Artikel ist ein Interview der care konkret mit Reiner Henrich. Das Interview ist zu finden in Ausgabe 19, veröffentlicht am 09.05.2025, die Fragen stellte Asim Loncaric.
Ein großer Teil der neu gegründeten ambulanten Pflegedienste in Deutschland wird von Reiner Henrich und seinem Team von Die PflegedienstProfis betreut. Ein Gespräch über den ambulanten Gründermarkt, wirtschaftliche Risiken und die Chancen für neue Unternehmer.
Einen ambulanten Pflegedienst zu gründen, ist heute anspruchsvoller denn je – aber auch chancenreich. Reiner Henrich, Gründer der Die PflegedienstProfis GmbH und Betreiber des Portals Carefounder, begleitet seit über 16 Jahren Gründerinnen und Gründer auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Im Gespräch schildert er, wie sich das Gründerprofil verändert hat, worin die typischen Stolpersteine liegen und warum es auf unternehmerisches Denken ebenso ankommt wie auf Haltung und Ausdauer.
Herr Henrich, wie kam es zur Gründung der PflegedienstProfis und Ihrer Plattform Carefounder?
Ich habe vor über 16 Jahren als Einzelberater begonnen – mit dem Ziel, Menschen, die einen Pflegedienst aufbauen wollen, praktisch zu begleiten. Es zeigte sich schnell, dass Neugründer ganz andere Bedürfnisse haben als etablierte Betreiber: Sie brauchen Orientierung, Struktur und oft jemanden, der ihnen auch emotional zur Seite steht. Aus dieser Erfahrung entstand Carefounder – als Plattform ausschließlich für Neugründungen. Heute betreuen wir jährlich zwischen 60 und 70 Gründerinnen und Gründer bundesweit. Viele davon begleiten wir über zwei Jahre hinaus – bis zur wirtschaftlichen Stabilität.
Wer gründet heute einen Pflegedienst? Hat sich das Profil der Gründerinnen und Gründer verändert?
Deutlich sogar. Früher kamen fast alle aus der Pflege – Pflegefachkräfte, PDLs, manchmal auch Heimleitungen. Heute sehe ich eine deutlich größere Vielfalt. Viele Gründer kommen aus völlig anderen Bereichen: Handwerker, Kaufleute, Gastronomen, sogar ehemalige Projektmanager. Was sie eint, ist ein starker innerer Antrieb: Sie wollen etwas Sinnvolles tun, Verantwortung übernehmen und Strukturen schaffen, die funktionieren. Viele haben persönliche Erfahrungen mit Pflege gemacht – etwa mit Angehörigen – und wollen auf Basis dieser Erfahrungen etwas besser machen. Diese Motivation in Verbindung mit einer unternehmerischen Haltung ist eine starke Grundlage, sofern sie realistisch vorbereitet ist.
Welche Voraussetzungen müssen Neugründer:innen aus Ihrer Sicht mitbringen?
Sie brauchen Mut, Ausdauer und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen – wirtschaftlich und menschlich. Die Anfangszeit ist oft hart: wenig Freizeit, viel Bürokratie, Unsicherheit. Gleichzeitig muss man sich klar machen: Ein Pflegedienst ist ein Unternehmen. Es geht nicht nur darum, gute Pflege zu leisten, sondern auch darum, wirtschaftlich tragfähig zu sein, Mitarbeitende zu führen und Qualität nachhaltig zu sichern. Entscheidend ist ein Wertekompass – also die Fähigkeit, Entscheidungen nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern auch wertebasiert zu treffen. Wer nur auf kurzfristigen Gewinn zielt, wird sich schwertun. Wer dagegen langfristig denkt und ein echtes Pflegeleitbild entwickelt, kann viel erreichen.
Viele unterschätzen sicher auch die finanziellen Anforderungen. Was kostet eine Gründung realistisch?
Das ist tatsächlich ein häufiges Problem: Die Gründungskosten werden oft zu niedrig angesetzt. Wer seriös plant, muss mit einem Startkapital zwischen 70.000 und 90.000 Euro rechnen – das ist die Regel. In Einzelfällen, etwa bei zusätzlichen Angeboten wie Tagespflege oder Spezialversorgungen, können es auch bis zu 180.000 Euro sein. Dazu gehören Investitionen in Büroräume, Fahrzeuge, Software, Personal und Rücklagen für die ersten Monate. Denn: Die Pflegekassen zahlen mit Verzögerung. Viele neue Dienste haben in der Anfangsphase keine Einnahmen, aber laufende Kosten. Wer hier nicht gut kalkuliert, gerät schnell in Schwierigkeiten. Ich empfehle jedem, eine betriebswirtschaftliche Beratung frühzeitig einzubeziehen – oder sich gezielt Expert:innen an die Seite zu holen, die solche Gründungen schon mehrfach begleitet haben.
Welche Fehler beobachten Sie bei Neugründungen am häufigsten?
Der größte Fehler ist, Pflege zu idealisieren und die betriebswirtschaftliche Realität zu ignorieren. Viele starten mit viel Herzblut – das ist gut – aber ohne Plan. Dann gibt es zu wenig Rücklagen, zu viele laufende Kosten, zu schnell eingestelltes Personal. Auch das Thema Tourenplanung wird oft unterschätzt: Wer keine effiziente Struktur aufbaut, verliert Geld mit jeder Fahrt. Ein zweiter großer Fehler ist die Vernachlässigung der Arbeitgeberrolle. Der Fachkräftemangel ist Realität. Wer Mitarbeitende langfristig binden will, muss ein verlässlicher, klar strukturierter Arbeitgeber sein – mit guter Kommunikation, klaren Dienstplänen, echtem Respekt. Das kann man lernen – aber es braucht Bereitschaft und Führungskompetenz.
Gleichzeitig scheint der Bedarf an ambulanter Pflege weiter zu wachsen. Wie schätzen Sie die Chancen für neue Anbieter ein?
Die Chancen sind enorm – vorausgesetzt, man ist gut vorbereitet. Die stationäre Pflege stößt vielerorts an ihre Grenzen: zu teuer, zu wenig Personal, oft unflexibel. Gleichzeitig möchten viele Menschen möglichst lange zu Hause versorgt werden. Das bedeutet: Der ambulante Bereich wird weiterwachsen. Aber: Nur wer professionell arbeitet, wird bestehen. Der Markt wird selektiver, anspruchsvoller – aber nicht unfair. Wer mit klarer Haltung, stabiler Organisation und einem echten Dienstleistungsgedanken arbeitet, hat große Möglichkeiten. Ich sehe viele Gründer, die nach drei Jahren stabile, verlässliche Unternehmen führen – mit engagierten Teams und hoher Qualität. Das ist möglich, aber es fällt nicht vom Himmel. Es braucht Planung, Begleitung – und ein realistisches Verständnis für die Herausforderungen.
Wie helfen Sie Gründern dabei konkret?
Wir begleiten sehr individuell – vom ersten Konzept bis zur erfolgreichen Etablierung. Das beginnt bei der Businessplanung, umfasst die Erstellung von Hygienekonzepten, Unterstützung bei der Zulassung, Schulung von Führungskräften, QM-Systeme, Aufbau der Personalstrukturen – bis hin zur langfristigen Prozessoptimierung. Viele Gründer schätzen es, dass sie bei uns nicht in ein Standardsystem gepresst werden, sondern dass wir flexibel auf ihre Ideen eingehen. Ich sage immer: Wer etwas Eigenes aufbauen will, braucht zwar Struktur – aber keine Schablone. Wir geben Halt, aber lassen Raum für Identität. Und oft begleiten wir unsere Gründer weit über die ersten zwölf Monate hinaus, denn echte unternehmerische Reife braucht Zeit.
Mehr Interviews und spannende Themen rund um die Pflege finden Sie auf der Website und im Online Magazin von care konkret. Wir bedanken uns noch einmal herzlich für das tolle Interview!