Sexualität und Intimität im Alter:
Ein schwieriges Thema in der Pflege

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Reiner Henrich

Die alternde Gesellschaft hat uns mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, von denen eine in der Pflege besonders hervorsticht: der Umgang mit Sexualität und Intimität älterer Menschen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der betroffene Mensch dement oder geistig fit, körperlich beeinträchtigt oder unversehrt, selbstständig oder pflegebedürftig ist. Die Thematik bleibt eine universelle und zeugt von menschlicher Natur, die oft unter dem Deckmantel der Tabuisierung verborgen bleibt.

Viele Pflegekräfte fühlen sich unsicher, wie sie auf die sexuellen Bedürfnisse der ihnen anvertrauten Menschen eingehen sollen. Sie sind unschlüssig, ob sie das Thema offen ansprechen sollten, und einige glauben sogar, dass Sexualität und Intimität nichts mit ihrer professionellen Pflegeaufgabe zu tun haben sollten. Solche Einstellungen können zu Missverständnissen und Unbehagen führen und bedürfen einer sorgfältigen Reflexion.

In der Pflege gibt es eine Fülle von ethischen und professionellen Überlegungen, die berücksichtigt werden müssen. Ein Beispiel dafür ist eine Pflegerin, die berichtet hat, sie habe sich in der Löffelchenstellung zu einer unruhigen älteren Dame ins Bett gelegt, um sie zu beruhigen und ihr mit körperlicher Wärme zu helfen. Während die Pflegerin sich in ihrem Handeln als unterstützend und wohltuend empfand, wurden ihre Handlungen von anderen als unprofessionell eingestuft.

Solche Unterschiede in den Reaktionen zeigen die Notwendigkeit, klare und verständliche Leitlinien für den Umgang mit solchen Situationen zu schaffen. Es ist wichtig, dass Pflegekräfte die Autonomie und Würde der von ihnen betreuten Personen respektieren, gleichzeitig aber auch ihre eigenen professionellen und persönlichen Grenzen wahren. Wer sich nicht in der Lage fühlt, einen dementen Menschen zärtlich und sinnlich zu waschen, sollte dazu nicht gezwungen werden. Gleichzeitig sollte es nicht verboten sein, solange es im Rahmen der ethischen und professionellen Grenzen bleibt.

Das Thema Sexualität im Alter, insbesondere bei Menschen mit Demenz, ist trotz der Bemühungen, den Lebensstil älterer Menschen zu verbessern, weitgehend vernachlässigt worden. Das neue Pflegestärkungsgesetz setzt auf selbstbestimmtes Leben im eigenen Zuhause und stellt erhebliche Mittel zur Verfügung, um die Versorgung sicherzustellen.

Um diesen neuen Anforderungen gerecht zu werden, müssen Pflegeeinrichtungen den Wunsch ihrer Bewohner nach Selbstbestimmung respektieren und anerkennen. Dies erfordert ein Umdenken in der Versorgung und dem Umgang mit der Sexualität im Alter, hauptsächlich bei Menschen mit Demenz.

In diesem Kontext ist es wichtig, die Sexualität älterer Menschen nicht als etwas Pathologisches zu betrachten, sondern als einen Aspekt ihrer Identität und Menschlichkeit. Um diesem Thema gerecht zu werden, braucht es neue Konzepte und Herangehensweisen.

In der Pflege älterer Menschen geht es nicht nur darum, für ihre körperlichen Bedürfnisse zu sorgen, sondern auch ihre emotionalen und sozialen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Sexualität und Intimität sind Teil dieser Bedürfnisse und erfordern ein hohes Maß an Sensibilität und Verständnis. Die Pflege muss daher stets auf einer Basis des gegenseitigen Respekts und der Wertschätzung stattfinden, um den Wünschen und Bedürfnissen der betreuten Personen gerecht zu werden, ohne die Grenzen der Pflegekräfte zu überschreiten. Um eine solche Kultur der Achtung und Wertschätzung zu fördern, ist es unerlässlich, die Pflegekräfte durch Ausbildung, Sensibilisierung und Unterstützung zu stärken. Die Pflegeausbildung sollte die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln, um mit der Sexualität und Intimität älterer Menschen umzugehen. Es sollte offen über dieses Thema gesprochen und klare ethische und professionelle Leitlinien geschaffen werden, um Missverständnissen und Konflikten vorzubeugen.

Des Weiteren ist die Unterstützung der Pflegekräfte durch Supervision und psychologische Beratung von großer Bedeutung. Die Auseinandersetzung mit Themen wie Sexualität und Intimität kann emotional belastend sein und Pflegekräfte benötigen einen sicheren Raum, um ihre Gefühle, Unsicherheiten und Bedenken zu äußern. Eine solche Unterstützung kann dazu beitragen, Stress abzubauen und das Wohlbefinden der Pflegekräfte zu fördern.

Es ist auch wichtig, die Kommunikation zwischen den Pflegekräften und den von ihnen betreuten Menschen sowie deren Familien zu verbessern. Ein offener und respektvoller Dialog kann dazu beitragen, Missverständnisse zu klären und gemeinsame Lösungen zu finden.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Einbeziehung der betroffenen Personen selbst. Menschen, die sich Gedanken über ihre Zeit der nachlassenden Autonomie machen, sollten die Möglichkeit haben, ihre Wünsche und Bedürfnisse im Zusammenhang mit Sexualität und Intimität zu äußern. Sie könnten auch eine Art von Lebensverfügung erstellen, in der sie festhalten, welche Wünsche und Bedürfnisse im Pflegefall berücksichtigt werden sollen.

Das Thema Sexualität im Alter und insbesondere bei Demenz darf nicht länger tabuisiert und vernachlässigt werden. Es bedarf eines bewussten Umdenkens und einer aktiven Auseinandersetzung mit der Thematik auf allen Ebenen der Pflege und Betreuung. Dazu gehören auch die Bereitschaft und Offenheit, neue Konzepte und Herangehensweisen zu entwickeln, um die Bedürfnisse älterer Menschen nach Nähe und Intimität zu berücksichtigen.

Letztlich geht es nicht nur um die Achtung der Würde und Autonomie älterer Menschen, sondern auch um die Wahrung der professionellen Grenzen und des Wohlbefindens der Pflegekräfte. In diesem Spannungsfeld bedarf es eines behutsamen und respektvollen Umgangs, der den Bedürfnissen und Wünschen aller Beteiligten gerecht wird. Nur so kann ein Umfeld geschaffen werden, das allen Menschen, unabhängig von ihrem Alter oder Gesundheitszustand, ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben ermöglicht.

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