Überarbeiteter Expertenstandard zur Sturzprophylaxe

Im Jahr 2007 wurde der erste Expertenstandard zum Thema Stürze veröffentlicht, dann 2013 überarbeitet und nun Anfang Oktober 2022 wurde eine erneute Überarbeitung und Anpassung an modernes Wissen veröffentlicht. Die neue Version ist in fünf Ebenen gegliedert, analog zu den neueren Expertenstandards, welche kürzlich veröffentlicht wurden, um eine Gleichmäßigkeit zu erschaffen und die schwierige Thematik verständlicher aufzubauen. Einige sprachliche Änderungen wurden vorgenommen, früher war die Rede von dem Wissen der Pflegefachkräfte, was abgeändert wurde zu der Kompetenz der Pflegefachkräfte, im Rahmen der deutschen Qualifikationen. Keine Neuerung jedoch ist die Eingliederung in Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität in den verschiedenen Ebenen. Die Ebene 1 beschreibt die Einschätzung des Sturzrisikos, welche strukturell in den Händen der Pflegefachkräfte liegt, die selbstständig arbeiten sollen und mit Verweis auf die hohen Anforderungen an diese von den zuständigen Pflegeeinrichtungen fortgebildet und unterstützt werden sollen. Der notwendige Kompetenzbereich umfasst genaues Wissen um die Sturzrisiken, Kenntnis der Kriterien für das Screening und damit eine vertiefte Einschätzung der Risiken, Erkennen der Zusammenhänge zu anderen Krankheitsbildern, usw. Zudem sollten die zuständigen Betreuerinnen und Betreuer über soziale Kompetenzen verfügen, da Einfühlvermögen und Empathie bei diesem Thema besonders hervorgehoben wurden. An dieser Stelle kommt nun eine große Änderung zu den vorigen Fassungen, denn im zweiten Schritt soll nun ein Screening durchgeführt werden, um mögliche Risiken erkennen und auch eine umfassende Einschätzung, Assessment genannt, abliefern zu können, wie sich diese Risiken zeigen und auf den Alltag der Betroffenen auswirken. Was in das Screening einbezogen werden muss, sind personen- und umweltbezogene Risikofaktoren, wie die eigene Mobilität, Sturzangst, (psychische) Erkrankungen mit Sturzrisiko, die Ausstattung des Umfelds und mehr. Betont wird von den Autoren des Standards, dass dieser Schritt kein Abhaken einer Checkliste ist, sondern vielmehr eine genaue, komplexe und faktorenübergreifende Einschätzung des individuellen Risikos. Beim Assessment gibt es ebenfalls Hilfestellungen. Bei Personen über 65 Jahre sollte dies einmal jährlich durchgeführt werden. Das Ergebnis der Ebene eins ist als eine systematische Erfassung des Sturzrisikos definiert, ob dieses vorliegt, die Benennung der Faktoren, Einbeziehung anderer Berufsgruppen in die Einschätzung und wann eine Folgeeinschätzung stattfindet. In Ebene zwei sind die Zuständigkeitsbereiche und Vorgehensweisen bei sturzgefährdeten Patientinnen und Patienten klar definiert. Damit sind die Pflegeeinrichtungen angesprochen, immer mit Rücksicht auf die gegebenen Umstände, sowie die Pflegefachkräfte, welche sich Kompetenzen bezüglich Maßnahmenplanung und deren Durchführung aneignen sollten. Vorgeschlagene Maßnahmen sind z.B. motorisches oder körperliches Training, Anpassung des Wohnumfelds und der Medikation, Bettalarmsysteme, Hüft- oder andere Protektoren, Anpassung des Umgangs mit Sehschwierigkeiten und weitere. Der Prozess hierbei ist die Besprechung eines geeigneten Maßnahmenplans mit den Bedürftigen, deren Angehörigen und den beteiligten Berufsgruppen, wie Ärztinnen und Ärzte oder therapeutische Berufe. Zu beachten gilt, dass die Sturzgefahr auf ein Minimum reduziert wird, aber freiheitsentziehende Maßnahmen niemals eine geeignete Lösung sind. Auch auf die Bedürfnisse und Wünsche der Patientinnen und Patienten soll eingegangen werden. Als Ergebnis dieser Ebene steht dann ein sinnvoller und von allen Seiten umsetzbarer Plan, der in der Praxis von allen Pflegefachkräften befolgt werden kann. Die Ebene drei stellt in diesem Standard die Ebene der Beratung, Schulung und Information dar. In der Phase Struktur soll die zuständige Pflegefachkraft über die Kompetenz verfügen, über Sturzrisiken und geeignete Interventionen schulen und unterrichten zu können. In der Kommentierung verweisen die Autoren auf eine sehr genaue und umfangreiche Kommunikation mit den Betroffenen und auch der Angehörigen, damit diese unterstützen und im Notfall eingreifen können. Bei der Prozessqualität wird auf die verschiedenen Bereiche der Pflege verwiesen, bei einem Aufenthalt im Krankenhaus muss die Lebenssituation nach der Entlassung berücksichtigt werden, bei einem teilstationären oder ambulanten Aufenthalt ist die Situation immer unterschiedlich und individuell zu bewerten, hier sind
nämlich die Angehörigen viel mehr in die Planung und dementsprechend in die Beratung mit einzubeziehen. Als Ergebnis dieser Ebene sollen die Betroffenen und die Angehörigen über die Sturzprophylaxe und die verschiedenen Risikofaktoren aufgeklärt sein und die Ergebnisse der Beratung sollten dokumentiert werden.

In Ebene vier werden die geplanten Interventionen umgesetzt. In Bezug auf die Strukturqualität werden zwei Aspekte hervorgehoben, nämlich einmal
die Förderung der Interventionen durch die Einrichtungen, die für die technischen und räumlichen Voraussetzungen sorgen müssen, um den Patientinnen und Patienten sichere Mobilität zu gewährleisten und zudem die Kompetenzansprüche an die Pflegefachkräfte, um die Koordination und Durchführung sinnvoll gestalten zu können. Dies impliziert, dass die Interventionen von den Einrichtungen gefördert werden und auch wieder einrichtungsspezifisch aufgestellt sein müssen. Im ambulanten Bereich muss die Verantwortung ein Stück weit an die Angehörigen abgegeben werden, was bedeutet, dass hier bei der Umsetzung auf andere Dinge vermehrt ein Augenmerk gelegt werden muss, um diesen zu helfen. Hier wurde in der Kommentierung durch die Autoren wieder explizit auf die Bedeutung und Wichtigkeit der Angehörigen hingewiesen. Auch auf die Bedeutung der Pflegefachkräfte wird speziell hingewiesen, denn diese sind ausschließlich für die Koordination verantwortlich und müssen ebenfalls von den Einrichtungen gefördert werden. Die Pflegefachkraft soll für die nötigen Interventionen sorgen, die Hilfsmittel besorgen, die Umgebung anpassen (lassen),die Bewegung fördern und die gesamte Kooperation mit Angehörigen und Krankenhäusern oder therapeutischen Einrichtungen organisieren, alles integriert in den Alltag des Betroffenen. Die Zusammenarbeit mit anderen Kolleginnen oder Kollegen und deren Anleitung in die Thematik übernimmt ebenfalls die Pflegefachkraft, Hilfestellungen dazu findet man in der Kommentierung des Expertenstandards. Als Ergebnis der fünften Ebene sollte man dann erreicht haben, dass die geplanten Interventionen durchgeführt wurden, die Zusammenarbeit mit den Angehörigen reibungslos funktioniert und die Mobilität gefördert wurde, die Angst vor dem Stürzen genommen oder erleichtert wurde und die Risikofaktoren im nächsten Schritt eingedämmt werden können. Ebene fünf des Expertenstandards beschreibt nämlich die Auswertung und Analyse der Maßnahmen. Hierzu muss die Einrichtung die nötigen Materialien zur Verfügung stellen, damit die Pflegefachkraft, welcher allein die Bewertung obliegt, diese nach Häufigkeit, Umständen und Folgen der Stürze analysieren kann. Diese Analyse soll dann bei Fallbesprechungen zur Rede kommen und auch nach verschiedenen Charakteristika sortiert werden. Bei der Bewertung müssen die oder der Betroffene und deren Angehörige miteingeschlossen werden und unter Berücksichtigung des Alltags und anderer gesundheitlicher Umstände werden geschehene Stürze analysiert und vor allem auch dokumentiert, um in Zukunft einen Verglich zu haben, ob sich der Zustand verschlimmert oder verschlechtert hat und welche Maßnahmen erfolgreich waren und welche man wiederum überarbeiten sollte. Die Kommentierung liefert hier bei der Analyse und Dokumentierung sehr aufschlussreiche Hilfestellungen. Als Ergebnis dieser Ebene sollen der Einrichtung patientenübergreifend Zahlen zu Häufigkeit, Umstände und Folgen der Stürze vorliegen. Abschließende Ziele sind die erfolgreiche Förderung der Mobilität, die Minimierung der Risikofaktoren für Stürze und die Effektivität der Maßnahmen, dass diese Stürze tatsächlich verhindern können. Damit soll der neue, überarbeitete Expertenstandard den Einrichtungen und vor allem den Pflegefachkräften eine große Unterstützung bei der Sturzprophylaxe sein und die Sturzgefahr verringern. Explizit betont wurde, dass keine freiheitsentziehenden Maßnahmen zur Verwendung kommen, da diese in der Vergangenheit oftmals wenig zielführend waren. Speziell erwähnt wurden auch die Anforderungen und Kompetenzen an die Pflegefachkräfte. Der neue Expertenstandard ist damit eine gelungene Unterstützung für die Sturzprophylaxe.

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Ansprechpartner

Reiner Henrich